Teil 2: Navigation
Noch in der 13. Etappe fragte sich der ein oder andere Teilnehmer, wie es die Führenden schafften, teilweise mit nur ein- oder zweistelligen Strafpunkten im Etappenziel anzukommen. Mir hatte das Navigationstraining in der Vorbereitung sehr geholfen.
Neben dem Tempo kam es bei dieser Rallye ganz besonders auf Navigation und Planung an. Entscheidend war nicht, schneller zu fahren als alle Anderen, sondern die vorgegebenen Verbindungsetappen und die Zeitvorgaben bei den Wertungsprüfungen genau einzuhalten. Einzige Ausnahme war der Prolog, bei dem rein die Geschwindigkeit auf einem abgesteckten Kurs zählte.
Im Prolog legte der Forerunner, Manuel Lucchese, die Zeit vor. Jede Sekunde, die man langsamer war, ergab einen Strafpunkt. Mit 21 Strafpunkten landete ich immerhin auf Platz 11.
Das folgende Video gibt einen Eindruck von diesem Anfang der Rallye.
Die Wertung gemäß Reglement
Abgesehen vom Prolog wurden die Strafpunkte folgendermaßen (bezüglich der Navigation, das gesamte Reglement ist umfangreicher) vergeben:
- Verspäteter Start in die Tagesetappe: 60 Punkte je Minute.
- Start in eine Wertungsprüfung außerhalb des vorgegebenen Zeitfensters: 1 Punkt je Sekunde.
- Abweichung von der Sollzeit in den Wertungsprüfungen: 1 Punkt je Sekunde.
- Abweichen von der vorgegebenen Strecke der Verbindungsetappen: 30 Punkte je Kilometer.
- Auslassen eines Wegpunktes in den Wertungsprüfungen: 300 Punkte.
- Auslassen des Start- oder Zielpunktes der Wertungsprüfungen: 200 Punkte je Kilometer der Wertungsprüfung.
Genauigkeit ist also der Schlüssel zum Erfolg.
Ablauf einer Tagesetappe
Im Briefing am Vorabend bekamen alle Fahrer die Rahmeninformationen für den folgenden Tag. Dazu gehörten die Anzahl der Verbindungsetappen und Wertungsprüfungen mit Streckenlängen, die Zeitvorgaben (Zeitfenster) für den Start in die Wertungsprüfungen und die späteste Ankunft im Biwak, gerechnet ab jeweiliger Startzeit des Fahrers in Minuten und die Sollzeiten für die Wertungsprüfungen.
Ich habe all diese Daten mitgeschrieben und dann auf Klebeband, dass ich im Sichtbereich auf den Tank geklebt habe, notiert.
Unmittelbar vor dem Start bekam jeder Fahrer sein mit den Tracks der
Verbindungsetappen und den Waypoints der Wertungsprüfungen gefüttertes
GPS zusammen mit einem GPS-Logger vom Veranstalter ausgehändigt. In
Reihenfolge des Rankings wurden die Fahrer aus dem Startpavillion im
Minutenabstand gestartet. Der eigentliche Startpunkt der Tagesetappe lag
allerdings wenige hundert Meter vom Pavillion entfernt und war im GPS
angegeben. Den Weg zu diesem Startpunkt nutzte ich, um ohne Zeitdruck
die Tracks der Verbindungsetappen auf der Karte im GPS zu laden und die
Wegpunkte der ersten Wertungsprüfungen in einen Luftlinientrack zu
reihen, um die Navigation in den Wertungsprüfungen vorzubereiten.
Nach Abschluss der Vorbereitungen legte ich meine Startzeit X auf eine "runde" Uhrzeit, z.B. 07:15 Uhr, fest und notierte sie auf dem Klebeband, um während der Tagesetappe die Sollzeiten einfacher berechnen zu können. Zu dieser Zeit überquerte ich dann den Startpunkt. Ab jetzt läuft die Uhr!
Je nach Länge der Verbindungsetappen wurde ein Zeitfenster für den Start in die Wertungsprüfungen vorgegeben. In der Regel wurde dazu eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 Km/h auf den Verbindungsetappen zugrunde gelegt. Dieses Zeitfenster wurde im Laufe des Fahrtages größer. Dies möchte ich an folgendem Beispiel darstellen:
- 1. Verbindungsetappe: 20 Km
- Start in die erste Wertungsprüfung: X + 20 Minuten bis X + 30 Minuten
- 1. Wertungsprüfung: 50 Km, Zeitvorgabe 53 Minuten.
- 2. Verbindungsetappe: 45 Km
- Start in die zweite Wertungsprüfung: X + 118 Minuten bis X + 138 Minuten
- 2. Wertungsprüfung ...
- ...
- Späteste Ankunftszeit im Biwak: X + 600 Minuten.
So gliederten sich die Tagesetappen in meist 4 bis 6 Wertungsprüfungen und dementsprechend viele Verbindungsetappen bei einer Gesamtdistanz von ca. 450 Km bis 650 Km pro Tag.
Je nach Streckenführung der Verbindungsetappen musste man also ordentlich Gas geben, um nicht schon auf den Verbindungsetappen Strafpunkte zu kassieren. Zeitverluste in einer Wertungsprüfung, z.B. durch Bergung des Fahrzeuges oder Reparaturen nach einem Sturz, wirken sich so auch auf den restlichen Tagesverlauf aus und Strafpunkte können sich schnell summieren.
Die Wertungsprüfungen
Im Unterschied zu den Verbindungsetappen, auf denen man den im GPS vorgegebenen Track nachfahren muss, waren bei den Wertungsprüfungen nur Waypoints vorgegeben.Die längsten Wertungsprüfungen waren bis zu 100 Km lang, die kürzeste 7 Km.Je nach Länge und Geländeprofil waren es bis zu 40 Waypoints, die in der vorgegebenen Reihenfolge angefahren werden mussten. Den Weg zu diesen Waypoints musste man sich selbst suchen. Wer nun glaubt, es sei leichter, nach GPS zu navigieren, als nach Roadbook, der irrt - im wahrsten Sinne des Wortes.
Im folgenden Bild ist ein Auszug aus einer Tagesetappe dargestellt. Der Punkt rechts außen SS 02 WP 11 / 97min ist der Endpunkt der 2. Special Stage (Wertungsprüfung). Sie hatte insgesamt 11 Waypoints, die Zeitvorgabe waren 97 Minuten. Die hellblaue Linie ist die Verbindungsetappe, diesem Track muss man folgen. Der Punkt SS 03 WP 01:kms 19 / WP 06 ist der Startpunkt zur 3. Special Stage. Darin ist die Länge mit 19 Kilometern und die Zahl der Waypoints, insgesamt 6, angegeben. Der Punkt links außen, SS 03 WP 06 / 35min markiert wieder das Ziel der 3. Special Stage mit der Vorgabezeit 35 Minuten. Ab hier folgt man wieder der hellblauen Linie auf der nächsten Verbindungsetappe.
Das erzeugen einer Route aus den Waypoints, der man dann schlicht folgt,
funktioniert auf Schotter- und Erdwegen bzw. Singletrails nicht. Die
meisten Waypoints lagen an Punkten, zu denen das GPS auf den vom Veranstalter bereitgestellten OSM-Karten keinen "Weg"
findet. Daher habe ich eine Luftlinienroute aus den Waypoints erzeugt,
um wenigstens die grobe Richtung zum nächsten Punkt stets im Blick zu
haben. Und dann muss man sich seinen Weg suchen. Nicht immer war klar,
welchen Weg der Veranstalter bei der Erstellung im Kopf hatte, was
regelmäßig zu "try and error" führte.
Die Startzeit der Wertungsprüfung beginnt automatisch, wenn man
sich in einem Radius von 15 m um den Startpunkt begibt. Ich bin also mit
langsamer Fahrt auf den Startpunkt zugerollt, die Distanz zum
Startpunkt auf dem GPS im Auge. Sobald ich mich im Radius befand, habe
ich die Stoppuhr gestartet. Gleichzeitig habe ich den Kilometerzähler
meines ICO genullt, um die noch verbleibende Entfernung zum Ziel
abschätzen zu können.
Mit den bereits zurückgelegten Kilometern und der verstrichenen Zeit
konnte ich so immer abschätzen, ob ich in der Sollzeit liege.
Und dann Gaaaaaas ...
Bei Annäherung an den
Zielpunkt war das Timing entscheidend. War man zu langsam - kein
Problem, einfach durchfahren und auf der Stoppuhr schauen, wieviel
Strafpunkte man kassiert hat. War man zu schnell - rechtzeitig anhalten,
bevor man auf 15 Meter an den Zielpunkt heranfährt. Mit Blick auf die
Stoppuhr dann möglichst auf die Sekunde genau den Zielpunkt anfahren.