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Motorsport wie er leibt und lebt - Gibraltar Race 2019

Jens Behling, Bilder: Jens Behling, Alessio Corradini • 28. Juli 2019

Respekt - Freude - Enttäuschung - Stolz. Alle Facetten des Motorsports in 10 Tagen.

Gibraltar Race 2019 Jens Behling

Bester Laune rolle ich als erster Fahrer zum Start der 10. Etappe in Barbastro, Spanien. Nach heißen Tagen mit über 40°C in Südfrankreich ist die Temperatur wieder angenehmer geworden. Die Etappe ist ungewohnt kurz, nur 375 Km. Davon 185 Km in sechs Wertungsprüfungen offroad auf abwechslungsreichen und interessanten Strecken mit viel Anspruch in der Navigation.
Meine gute Laune hat einen Grund: Seit 5 Etappen liege ich in Führung. Mit 2485 Strafpunkten habe ich 2208 Punkte Vorsprung auf den zweitplatzierten Allen Alistair mit 4693 Strafpunkten. Und es sind nur noch 4 Tagesetappen bis zum Ziel in Fisterra.

Allen Alistair kenne ich von der Gibraltar Race 2018. Dieses Jahr hat er die KTM 690 gegen eine BMW HP2 Enduro getauscht und er kann damit ausgezeichnet umgehen, was er durch seine Führung in den ersten 4 Tagesetappen bewiesen hat. Neben ihm sind viele Fahrer aus den letzten Jahren am Start, aber auch viele neue Namen, die für Überraschungen gut sein können.
Zu den Bekannten zählen Mark Kinnard - Sieger des Gibraltar Race 2017, der von seiner KTM 690 auf eine EXC500 Rally gewechselt hat. Bob Coerse - seine KTM 660 Rally Replica, mit der er an der "Paris-Dakar-Rallye" 2007 und der Transorientalerallye 2008 teilgenommen hat, steht in seinem Wohnzimmer. Dieses Jahr ist er auf einer Husqvarna 501 Rally am Start. Renato Zocchi - ebenfalls ein "Dakar-Rallye" erfahrener Pilot treibt wieder einen Honda X-Adv durch Europa und Dave Ouwehand - im letzten Jahr 2. der Klasse 1 - ist wieder auf seiner BMW R1200 GS Rally unterwegs. Neben vielen weiteren wiederholt am Gibraltar Race Teilnehmenden sind aber auch neue Gesichter mit bekannten Namen und viel Erfahrung in der Startaufstellung. Darunter zum Beispiel Ugo Filosa, der in der 2-Zylinderklasse mit großem Erfolg an verschiedenen Rallyes teilgenommen hat, und Mirco Bettini, Reise- und Rallyeerfahren in Europa, Afrika und Südamerika. Kaum wahrgenommen wurde allerdings einer der größten Favoriten, der vornehm zurückhaltende Edwin Straver - Sieger der MaleMoto-Klasse der "Dakar-Rallye" 2019!

Mit dementsprechendem Respekt aber auch einer großen Portion Vorfreude brach ich am 19. Juni mit meiner wieder voll beladenen HPN BMW R100 GS Rallyesport auf zum Startort Danzig. Wie ich reisten einige wenige der insgesamt im Ranking geführten 75 Teilnehmer aus 18 Nationen - von Island bis Australien - ebenfalls auf Achse an. Der größte Teil der Fahrer stützte sich auf professionell ausgesattete Rallyeteams ab.

Für die Vorstellung der Fahrer und Teams hat der Veranstalter einen publikumswirksamen Ort aufgetan: Das Sheraton Hotel in Danzig.
Über eine Rampe wurden die Fahrer mitsamt ihren Fahrzeugen auf eine Bühne an der Promenade geholt und erhielten dort ihre Startnummern.

Der Startort in Danzig bot nicht nur die Möglichkeit einer beeindruckenden Präsentation der Rallye und ihrer Teilnehmer, sondern auch beste Voraussetzungen, mit anspruchsvollen Wertungsprüfungen in die Rallye zu starten. Die ersten beiden Tagesetappen warteten mit jeder Menge Sand auf schnellen Pisten durch die polnischen Wälder auf.
Sandfahren lebt von der Geschwindigkeit. Allerdings sind die polnischen Wälder nicht die Sahara, sondern durchzogen von querverlaufenden Pisten, Eisenbahnschienen und teilweise extremen Schlaglöchern. Für einige weniger Geübte wurden die ersten beiden Tage zu einer Herausforderung, während Andere ihre Begeisterung über die ausgiebigen Sandkastenspiele nicht verbergen konnten.

Nachdem in Polen die Erwartungen der Teilnehmer nach unbefestigtem Untergrund voll befriedigt wurden, konnten die folgenden Tage der ersten Rallyehälfte leider nicht mehr mit ganz so viel Offroad glänzen. Tschechien bot mit einem Fun-Parcour im Wald mit tollen Sprüngen und Single-Trails zwar Qualität - aber leider viel zu wenig Strecke. Mit immerhin 30 Km unbefestigter Straßen konnte das Teilstück durch Deutschland überraschen, aufgrund eines rücksichtslosen Teilnehmers richtete allerdings die deutsche Polzei einen ungeplanten Checkpoint ein. Nachdem der Sachverhalt geklärt war, ließen die freundlichen Beamten die Teilnehmer zwar ohne Einschränkungen oder Anzeigen weiterfahren, nur musste diese 4. Tagesetappe aufgrund der Verzögerungen von bis zu 1,5 Stunden leider aus der Wertung genommen werden.

Auf der folgenden Etappe durch Italien passierte es: Der bis dahin führende Alistair und sein Teamkollege Kinnard machten einen Fehler in der Etappenplanung, der zum ersten einschneidenden Führungswechsel beim Race 2019 führte.
Aus meinem Rückstand von 400 Punkten wurde ein Vorsprung von 1700 Punkten! Zum ersten Mal führte ich das Gesamtranking an!

Das erste Drittel der Rallye lag hinter uns, die beiden heißesten Tage unmittelbar vor uns. In Südfrankreich kletterte das Thermometer auf bis zu 43°C im Schatten. Tagesetappen von 520 Km und 410 Km forderten bei diesen Temperaturen einiges von den Fahrern. Für die Teilnehmer der "Express 1", für die zum Ruhetag das Ziel erreicht war, waren diese Tage sicherlich ein Highlight, für die Teilnehmer der gesamten Strecke kam der folgende Ruhetag genau richtig, um sich von den enormen Belastungen durch die Hitze erholen zu können.

Erholen konnte ich mich am Ruhetag tatsächlich, denn außer dem planmäßigen ersten Reifenwechsel, den der Mechaniker von Memo-Tours für mich erledigte, einer gründlichen Reinigung und einem Luftfilterwechsel gab es am Motorrrad nicht viel zu tun. Bisher hatte ich keine Stürze zu verzeichnen, so blieb es bei der Kontrolle der Verschraubungen, der Speichen und der Bremsbeläge.

Die 2. Hälfte des Gibraltar Race - der 2. einschneidende Führungswechsel

Mit dem Grenzübertritt nach Spanien folgte nach dem Ruhetag die offroadlastigere Hälfte der Rallye. Durch meine Führung im Gesamtranking bestens motiviert, konnte ich die Etappen 8 und 9 wirklich genießen und meine Führung weiter ausbauen. Noch mal fast 10 weitere Minuten Vorsprung auf den immer noch zweitplatzierten Alistair kamen dazu. Bei 00:47 Minuten im folgenden Video sieht man mir die Fahrfreude an... ;-)
Mit der 10. Tagesetappe kam mein schwarzer Tag. Nach zwei annähernd perfekten Wertungsprüfungen machte ich in der dritten einen Navigationsfehler, der mich ca. 10 Minuten kostete. Nachdem ich wieder auf dem richtigen Weg war wurde die Piste brutal: Extrem hartes, felsiges Gelände, Felsstufen und Geröll. Jeder Versuch, die verlorene Zeit wieder reinzufahren, wäre halsbrecherisch geworden. Andere sammeln hier auch Strafpunkte, das war mir klar. Also riskierte ich nichts, riss mich zusammen und beendete auch diese Etappe sturzfrei.

Einige Fahrer waren während meiner Irrfahrt an mir vorbei gezogen und bereiteten sich am Start der nur 2 Km entfernten 4. Wertungsprüfung auf die Navigation vor. Darunter auch Bob Coerse, der mich plötzlich auf Öl an meinem Hinterrad aufmerksam machte.
Jede Menge Öl hatte sich an der rechten Fahrzeugseite verteilt und mit dem Staub eine dicke Schlammschicht gebildet. Woher das Öl kam, war nicht erkennbar, aber es war zu viel, um einfach weiter zu fahren.
Der Ölpeilstab war trocken, der Ölstand im Motor deutlich unter Minimum. Die 0,5 Liter Öl aus meinem Gepäck reichten gerade so aus, das Ölniveau auf Minimum zu bringen. Genug, um die nächste Wertungsprüfung zu absolvieren und dann eine Tankstelle zu suchen...
Extrem beunruhigt behielt ich ständig die Öldruckkontrolle im Auge. Sie leuchtete glücklicher Weise jedoch nicht auf.
Auf der OSM-Karte auf meinem Garmin Navigationsgerät fand ich eine Tankstelle, 10 Km abseits der nächsten Verbindungsetappe. Das bedeutete einen Zeitverlust von mindestens 20 Minuten. Ohne Öl ging es aber nicht weiter, also nahm ich die unvermeidlichen Strafpunkte in kauf. Es sollten an diesem Tag noch mehr werden...

Die folgende 5. Wertungsprüfung beinhaltete eine besondere Herausforderung: Die in den Karten verzeichneten Wege führten im Kreis und der Abzweig in die richtige Richtung lag so versteckt und im Rücken der Fahrer, dass alle Kreuzungen von Reifenspuren in alle Richtungen durchzogen waren. Nach einer "Rundfahrt" und mehrfachen Wendemanövern fand ich den richtigen Weg. Vor der Navigation war meine Hauptsorge allerdings permanent der Ölverlust. Ich schaute mehr auf die Öldruckkontrolle als auf das Navigationsgerät.
Nachdem ich mehrere langsamere Fahrer überholen konnte, passierte es. Öl auf der Hinterradbremse machte es mir unmöglich, eine Rechtskurve richtig anzubremsen. Ein heftiger Sturz folgte.
Starke Schmerzen im Rücken und in der Schulter zwangen mich, die letzte Wertungsprüfung im sitzen und behutsam zu fahren. Ich wollte nur noch ankommen.

Ich hatte es geschafft! Tatsächlich hatte ich trotz aller Probleme, Ölverlust, Sturz und Schmerzen meine Führung knapp verteidigt und stand am Ende dieses Höllentages immer noch auf Platz 1!

Im Biwak dann die erschütternde Erkenntnis: Die rechte hintere Motorhalterrung ist abgebrochen und hat ein Loch in die Ölwanne gerissen.
Bis spät in die Nacht haben wir alles gegeben, das Loch abzudichten. Am nächsten Morgen dann die Probefahrt - und es war dicht!
Voller Hoffnung startete ich als erster Fahrer in die 11. Tagesetappe. Nach 50 Km musste ich aber feststellen, dass das Loch wieder aufgebrochen war.

Unendlich enttäuscht musste ich den Weg zurück in´s Biwak fahren und mein Motorrad auf den Truck verladen.
Facebook-Video
Es gelang mir im folgenden Biwak zwar, den Motor mit Silikon dicht zu bekommen, aber eine weitere Rallyeteilnahme, vor allem weiteres offroadfahren mit diesem Schaden, war unmöglich.

Am Start der 12. Etappe verabschiedete ich mich von den zahlreichen, liebgewonnenen Teilnehmern und trat die Heimreise auf eigenen Rädern an.

Ziel erreicht? Offensichtlich nicht. Oder doch?

Den Zielort der Rallye nicht.
Aber auf der Heimreise wurde mir vieles Bewusst:
Ich durfte
- wieder sehr viele herzliche und gute Menschen kennenlernen,
- neue Orte und wunderschöne Landschaften erleben,
- Erfahrungen sammeln,
- Fahrspaß pur genießen,
- über 5 Tage die Führung bei DER Marathonrallye in Europa innehaben!

Inzwischen überwiegt deutlich der Stolz über das erreichte vor der Enttäuschung des vorzeitigen Ausscheidens.
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Von der selbst umgebauten R80 GS Basic zur HPN Rallyesport. Nach meinem Einstieg in den Sport in Bechthal stand das 2-Tage Enduro jedes Jahr fest in meinem Terminkalender. Dazu kamen ADAC-Enduro-Cup Läufe in Gerstetten, Amtzell, Frickenhausen und Reutlingen, ein SÜMA-Cup Lauf in Emmingen und die Teilnahmen am 24h Endurance Day in 2004, 2005 und 2006. Meine gute Beulenpest-Kuh - den Spitznahmen bekam sie aufgrund des aufgeblähten Lacks am Tank - trug mich erfolgreich in das Finale der BMW GS-Challenge 2008, durch zahlreiche Urlaubsländer und mehrere Enduro-Trainings, die ich mit Eric gemeinsam veranstaltete. Und dabei besiegelte sich auch ihr Schicksal, zumindest bis heute. In einer etwas zu tiefen Schlammpfütze hatte sie Schlamm gezogen. Wodurch auch immer, denn der Luftfilter und die Vergaser waren sauber. Nach der Bergung ging vor Ort nur eines: Kerzen herausschrauben, den Schlamm mit dem Anlasser herausblasen und mit viel Kriechöl nachspülen. Ohne Fahrzeug ging es nicht und ich hatte auch keine Alternative. Es musste ohne weitere Zerlege- und Reinigungsarbeiten weitergehen. Dass der Schlamm und das Kriechöl dem Motor nicht gut tun, war klar. Und viele hunderte Kilometer später während der Heimfahrt auf der Autobahn kam, was kommen musste. Die Kurbelwelle ist gebrochen, der gesamte Rumpfmotor war zerstört. Und so verweilt sie bis heute in Einzelteilen im Keller und wartet auf die Wiederauferstehung. Mit dem während zweier Auslandseinsätze gesparten Geld konnte ich 2009 schließlich das Motorrad kaufen, dass - wie es Markus Theobald in Bechthal einmal zu mir sagte - für genau so Typen wie mich gebaut wurde. Eine BMW HP2 Enduro. Dieses Motorrad hatte nicht nur deutlich mehr Motorleistung, es hatte auch ein zeitgemäßes Fahrwerk und deutlich geringeres Gewicht. Meine Offroad-Geschichte auf BMW Boxer konnte ich also fortschreiben. Die HP2 ist ein tolles Motorrad. Für schweres Gelände in dieser Gewichtsklasse aus meiner Sicht ultimativ. Für Langstrecken- und Urlaubsfahrten bekam sie den größeren Tank von HPN. Ansonsten war nicht viel zu verändern. Das Klappern der Gabel verschwand irgendwann und das Luftfederbein war on- und vor allem offroad genial! Es sprach so feinfühlig an, dass das zum endurofahren übermäßige Leistungsangebot des 1200er Boxers auf jedem Untergrund umgestetzt werden konnte. Erst nach einem Bruch des Federbeines nach immerhin 100.000 Km musste ich es gegen ein Öhlins Federbein tauschen, da es das Luftfederbein als Ersatzteil nicht mehr gab.
von Jens Behling 11. November 2018
Welche Leidenschaften und Träume habe ich, wie haben sie sich entwickelt und wie sind Träume in Erfüllung gegangen.
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